Gerhard Löwenstein

EINE HANDREICHUNG ZUR BESICHTIGUNG

Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses
und den Ort, da deine Ehre wohnt.  Ps. 26, 8

Von diesem Psalmwort wird sich mancher Besucher unserer Kirche angesprochen und mit hineingenommen fühlen in die Beziehung der christ- lichen Gemeinde zu ihrem alten Gotteshaus.

Winningen und seine Kirche! Uralt ist unser Ort. Bodenfunde aus grauer Vorzeit, aus verschiedenen frühgeschichtlichen Epochen und aus der Römerzeit bezeugen es. Aber außer den auf der Höhe gelegenen römischen Landhäusern dürfte bis in die Zeit des Eindringens der Franken in unseren Raum die Siedlung am Moselübergang des alten Heerwegs zwischen den Kastellen Boppard und Andernach ein eher bescheidenes Dörfchen gewesen sein. Seine Bewohner werden aber ganz sicher schon durch die Mönche Castor und Lubentius, die Bischof Maximin von Trier um das Jahr 340 n. Chr. als Missionare an die untere Mosel entsandte, von der christlichen Botschaft erreicht worden sein.

Aber erst nach der Gründung eines fränkischen Großreiches durch den sich zum Christentum bekennenden König Chlodwig  kam es im 6. Jh. neben den in den römischen Kastellorten bestehenden Kirchen, Gebetskapellen und Baptisterien  verstärkt zu Gemeindegründungen und zum Bau von Landkirchen. Diese waren überwiegend dem damals in hoher Verehrung stehenden hl. Martin von Tours geweiht. Uralte Mauerreste unter unserer heutigen Kirche werden einer solchen Martinskirche zuge-schrieben.

Um das Jahr 895 erhält das Aachener Domstift das Patronat über die Winninger Kirche. 1019 schenkt Kaiser Heinrich II. das Dorf „mit seiner Kirche“ dem Kloster Kaufungen. Später ist Winningen im Besitz der Pfalzgrafen bei Rhein, die den Ort als Lehen an die Grafen von Sayn geben. Von dort gelangt Winningen im Jahre 1264 durch Heirat an die Grafschaft Sponheim, die bald darauf in eine „Vordere“ und eine „Hintere“ Grafschaft geteilt wird.

Als einziger Ort an der unteren Mosel, mitten im Erzbistum Trier gelegen, gehörte nun Winningen zu dieser Hinteren Grafschaft Sponheim, die 1437 unter eine badisch-pfälzische Zweiherrschaft kam, ein Umstand, dem in der Reformationszeit eine besondere Bedeutung zukam. Markgraf Bernhard III. von Baden hatte schon früh die lutherische Lehre angenommen,  aber erst als im Jahre 1557 in der pfälzischen Linie der eben- falls evangelische Pfalzgraf Friedrich III. durch Erbfolge zur Regierung kam und nun beide Gemeinsherren  gleichen Bekenntnisses waren, konn-te nach dem Grundsatz „cuius regio, eius  religio“  die Reformation eingeführt werden. So kam es, dass Winningen nun als ein evangelischer Ort inmitten des kurtrierisch – katholischen Umfeldes über Jahrhunderte hin- weg ein ausgeprägtes Eigenleben führte, das in der Mentalität seiner Bewohner, in der Entwicklung eines besonderen Brauchtums und nicht zuletzt in der Ausprägung einer eigenen Mundart seinen Ausdruck fand.

Bereits im 12. Jh., noch unter Saynischer Herrschaft, kommt es – wahrscheinlich durch die Aachener Stiftsherren – zum Bau einer neuen, größeren Kirche. Sie wird als dreischiffige Basilika errichtet, wobei die Grundmauern der alten Vorgängerkirche als Fundamente für die Pfeiler dienen, die mit ihren aufliegenden Scheidbögen das Mittelschiff von den Seitenschiffen trennen. Auch der Turm bis zur Höhe der Glockenstube, und damit der im Turm liegende Chorraum mit dem gemauerten Altar, stammen noch von diesem Bauwerk. Ebenso das südliche Seitenchörchen, das wohl der Standort eines der Nebenaltäre gewesen sein wird, die unsere Kirche im Mittelalter besaß. Mehrfach nachgewiesen sind ein Marien-, ein Katharinen-, ein Nikolaus- und ein Michaelsaltar.

Der Ort gewann als Marktflecken zunehmend an Bedeutung. Er wurde größer, und mit dem Ansteigen der Einwohnerzahlen musste auch jeweils die Kirche „mitwachsen“. So kam es im Laufe der Zeit zu mehreren An- und Ausbaumaßnahmen.

Nach einer ersten baulichen Veränderung im Jahre 1618 erfolgte um 1685 ein großer Erweiterungsbau. Der dreischiffige Baukörper wurde um einiges verlängert und erhielt damit eine neue Westfassade. Im Innern wurde eine dreiseitige Empore eingebaut, die bis heute in ihrer schönen barocken Gestaltung den Gesamteindruck des Kirchenraums bestimmt.

Wegen der Empore mussten die Außenmauern erhöht werden, womit der ursprüngliche basilikale Bautyp – ein hohes Mittelschiff mit Obergaden, bei niedrigen Seitenschiffen – aufgegeben wurde. Das gesamte Langhaus überdeckte nun ein einheitliches Satteldach.

Doch schon bald war die Kirche wieder zu klein geworden. Um zusätzlichen Platz im Parterre und auf den Emporen zu gewinnen, beschloss die Gemeinde im Jahre 1718 den Anbau der beiden polygonalen Querschiffe, im Volksmund „Rondillchen“ genannt.

 

Wenden wir uns nun der Ausstattung zu. Der schöne Taufstein stammt aus der Erbauungszeit der Kirche. Sein großes Fassungsvermögen läßt darauf schließen, dass man im Mittelalter die Täuflinge ganz untergetaucht  hat. Die heutige Messinghaube wurde 1903 gestiftet.

Ein besonderer Schmuck unserer Kirche sind die drei im flämischen Stil gearbeiteten messingvergoldeten Kronleuchter. Der älteste, etwas kleinere, stammt aus dem Jahre 1604, die beiden anderen aus der Zeit des großen Umbaus der Kirche von 1685.

Unsere heutige Orgel ist die Nachfolgerin verschiedener Vorgänger-Instrumente. Sie stammt aus der Orgelbauerwerkstätte Oberlinger. Seit 1965 im Dienst, wurde sie im Jahre 2000 generalüberholt und etwas umgebaut. Sie erfüllt mit ihren 18 Registern vollauf die Ansprüche einer ländlichen Gemeinde.

Die Kirche wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder dem jeweils herrschenden Zeitgeschmack entsprechend angestrichen und aus- gemalt. Ein letzter Rest ursprünglicher Wandmalerei ist nur noch im alten Nebenchörchen erhalten. Diese Fresken werden in die Zeit um etwa 1230 datiert. Sie wurden 1963 unter 18 verschiedenen Schichten von Farbe, Tünche und Feinputz entdeckt und fachgerecht restauriert. Man erkennt in der Darstellung die Symbole der vier Evangelisten: Mensch, Löwe, Stier und Adler als geflügelte Wesen. Im Feld des Matthäus ist zu lesen: Appruit Autum illi Ange…De Celo : „Erschienen aber ist jenem der Engel vom Himmel.“

Von den ehemals zahlreichen Epitaphien sind heute nur noch wenige im Kircheninnern vorhanden. Im Seitenchörchen befindet sich ein Gedenkstein, auf dem in Lebensgröße eine Frau, frontal, mit gefalteten Händen dargestellt ist. Die auf den seitlichen Pilastern ehemals vorhandenen Wappen wurden 1794 von französischen Revolutionstruppen abgeschlagen.

Die Sockelinschrift lautet:

ANNO 1597  IST  IN  GOT  VERSCHIEDEN  DES  EDLEN  UND VESTEN  HENRICH  VON  HEDESDORF  NACHGELASSENE  WITWE  MARIA  VON  REIFFENBERG  IRS  ALTERS  72  JAR  DER  SEELEN  GOTT  GNADE  AMEN.

Der Überlieferung nach soll sie eine sehr fromme, freigebige Frau gewesen sein.

An der Ostwand des Südrondellchens ist eine kleine Gedenktafel des Vogtes L. Weys  eingelassen, der von 1610 bis 1622 amtierte. Sie trägt die Umschrift:

A.(anno) 1626  DEN  3. NOVEMBRIS   STARB  DER  ERNFEST (ehrenfeste)  LORENZ WEYS  SPONHEIMIS  VAGT ZU  WINNINGEN  D.S.G.G. (Des Seele Gott gnade).

Das in der Mitte der Platte erhaben ausgearbeitete Wappen ist nur noch in seinen Umrissen zu erkennen. Es wurde ebenfalls seinerzeit von den Franzosen abgeschlagen. Unter dem Wappenfragment steht:

CHRISTVS  IST  MEIN  LEBE,  STERBEN  IST  MEIN  GEW. (Gewinn).

Am Pfeiler vor der südlichen Wendeltreppe ist eine Tafel mit den Namen der Toten des preußisch-österreichischem Krieges 1866 und des deutsch-französischen Krieges 1870/71 eingelassen. – Ein Zeugnis der Auswirkung von Politik und Zeitgeschichte bis in jede Dorfgemeinde.

Neben der Kanzel, unterhalb der Laibung der Arkade, befindet sich ein Gedenkstein in barocker Formgebung aus schwarzem Marmor. Im Kopfbogen zeigt er eine aus weißem Marmor eingearbeitete muschelartige Kartusche mit den verschlungenen Initialen CCAB, im unteren Feld einen Totenschädel mit Gebeinen. Die Inschrift lautet:

ANNO 1669  DEN 9 AUGUSTI  IST  HERRN  CORNELII  BEINEN  TÖCHTER- LEIN  VON  TRORBACH  CATHARINA  CHRISTINA  ALHIER  CHRISTLICH  ZUR  ERDEN  BESTATTET  WORDEN  IHRES  ALTERS  4  JAHR.

In einer breiten Fußkartusche steht: LEICH.TEXT  PSALM  CXXVI Vs. V&VI  DIE  MIT TRÄNEN SÄEN  WERDEN  MIT  FREUDEN  ERNTEN,  SIE  GEHEN  HIN  UND  WEINEN  UND  TRAGEN  EDLEN  SAMEN  UND  KOMMEN  MIT  FREUDEN  UND  BRINGEN  IHRE  GARBEN.

Cornelius Bein aus Trarbach war ein wohlhabender, auch in Winningen begüterter Mann.

Eine Tafel  bei der nördlichen Seitentür ist dem Gedenken an Elisabeth Müller gewidmet. Frau Müller war eine Tochter des Pfarrers A. Müller, der von 1873 bis 1912 in Winningen amtierte. Von Beruf Lehrerin, war sie ledig geblieben und hatte sich durch weite Auslandsreisen und vielseitige Korrespondenz ein unabhängiges politisches Urteil bewahrt, mit dem sie auch, nachdem sie sich im Ruhestand wieder in Ihrer Heimatgemeinde niedergelassen hatte, nicht zurückhielt. Verhaftung, Gefängnis und schließlich Verbannung in Konzentrationslager waren die zwangsläufigen Folgen. Todkrank und völlig entkräftet starb sie unmittelbar nach der Befreiung des KZ-Lagers Auschwitz.

Zwei große Gedenktafeln nennen die Namen der Toten der beiden Weltkriege 1914/18 und 1939/45. Wie viel persönliche Not, wie viel Trauer und Leid und welche Familienschicksale sich hinter diesen Namen verbergen, bleibt unermessen.

Die Sakristei dient heute als Aufenthaltsraum für Kleinkinder während der Predigt. Ihre Tür (auf dem unteren Podest der Turmtreppe) zeigt original gotische Beschläge.

 

Das Geläut der Winninger Kirche besteht aus vier Bronzeglocken in der Stimmung c, f, as, b. Sie stammen aus den Jahren 1507, 1422, 1957 und 1507. Ihre Beschreibung, ihre teilweise bewegte Geschichte, auch das sie umrankende Brauchtum und die heutige Läuteordnung wurden bereits gesondert dargestellt und veröffentlicht. Auch eine ausführliche Baugeschichte der Kirche mit der Beschreibung aller Ausstattungsstücke, einschließlich der Tauf- und Abendmahlsgefäße, liegt vor. In den in dieser Arbeit beschriebenen Einzelheiten und erwähnten Ereignissen spiegelt sich ein Stück der Kirchengeschichte unseres Raumes und das kirchliche Leben der Ortsgemeinde in früheren Zeiten.